News · 05.03.2019

HFH-Studentin Nina Rüter erkämpft Vergütung für Physio-Azubis

Seit Jahresbeginn werden Auszubildende verschiedener Gesundheits- und Therapieberufe erstmals bezahlt
Verhandlungsgruppe mit Nina Rüter und Frank Bsirske auf Treppe
Die ver.di-Verhandlungsgruppe mit Nina Rüter (oben, 2. Reihe, Mitte) und (rechts hinter ihr) Frank Bsirske nach Ihrem Erfolg zur Ausbildungsvergütung.

Azubis werden je nach Branche, Region und Lehrjahr sehr unterschiedlich bezahlt. Neben gering entlohnten Ausbildungen gibt es auch Berufe, die ganz von einer Ausbildungsvergütung ausgeschlossen sind oder waren. Angehende Physio- und Ergotherapeuten sowie Logopäden zum Beispiel bekamen bislang für ihre anspruchsvolle und wichtige Tätigkeit keinen Cent. Das hat sich zu Jahresbeginn geändert.

Seit Januar erhalten Auszubildende für Therapieberufe in kommunalen Krankenhäusern, Unikliniken und psychiatrischen Landeskrankenhäusern erstmals eine Ausbildungsvergütung. Zudem haben sie Anspruch auf bezahlten Urlaub und profitieren von verschiedenen weiteren Verbesserungen, die der Tarifvertrag mit sich bringt. Zusätzlich gelten die tariflich festgelegten Neuerungen auch für Orthoptisten, Diätassistenten und MTAs.


Verbesserung nach langen Verhandlungen

Dass sich die Situation für die Azubis so grundlegend verbessert hat, ist einer guten Vernetzung, Verhandlungsgeschick sowie gewerkschaftlicher Hartnäckigkeit zu verdanken – und ganz konkret auch einer jungen Frau, die ihre eigene Physio-Ausbildung 2018 abgeschlossen hat: HFH-Studentin Nina Rüter.

Als Auszubildende am Uni-Klinikum Essen hatte sie sich mit anderen Betroffenen zusammengetan und sich gewerkschaftlich engagiert. Mit dem Eintritt in ver.di trug sie das Anliegen Vieler schließlich auf die Ebene der politischen Verhandlungen. Mehr als drei Jahre lang  hat sie seitdem als Mitglied der ver.di-Verhandlungsgruppe mit Vertretern der Arbeitgeberseite diskutiert, gerungen und gestritten – und schließlich gewonnen.

Wir haben Nina Rüter zu ihren Beweggründen und den Erfahrungen mit ihrem berufspolitischem Engagement interviewt.

 
 
 
Protestgruppe zur Bezahlung von Physiotherapie-Azubis

Großer Andrang bei der Demonstration für eine Ausbildungsvergütung für Auszubildende in Therapieberufen.

Frau Rüter, Sie mussten Ihre Physio-Ausbildung noch selbst finanzieren. Warum haben Sie sich trotzdem dafür entschieden?

Es war mein klarer Wunsch, Physiotherapeutin zu werden und ich habe auch sehr schnell einen Ausbildungsplatz gefunden. Mir war damals klar, dass ich während der Ausbildung keine Vergütung erhalten und weiterhin finanziell abhängig sein würde. Meine Eltern wollten mir diese Chance aber geben, und so nahmen wir das notgedrungen in Kauf.


Wie sind Sie damit umgegangen, in der Ausbildung für einen verantwortungsvollen Beruf kein Geld zu bekommen?

Von Anfang an war ich der Meinung, dass die Situation so nicht richtig ist. Die Jugend- und Auszubildendenvertretung am Uniklinikum Essen hat sich schon vor Beginn meiner Ausbildung für eine Vergütung stark gemacht und dies auch kundgetan. Mein Interesse an dieser Bewegung war von Anfang an sehr hoch und als „Betroffene“ bekam ich die Chance, eine Stimme für die Bewegung zu sein und durfte in den Verhandlungen meine Kollegen vertreten.


Sie haben sich im Netz und bei ver.di engagiert, um etwas zu verändern. Wie läuft eine solche Bewegung ab?

Im Netz haben wir – z.B. mit dem Hashtag #unbezahlt – unser Anliegen verbreitet, Aufmerksamkeit erregt, aufgeklärt und so weitere Azubis zum Engagement angeregt.
In der Gewerkschaft wandert so ein Anliegen von unten nach oben: Die Basis, in diesem Fall die Azubis, bringt ein Thema in die Gremien. Durch mein Interesse und meinen Einsatz durfte ich selbst Teil eines Gremiums werden, das dann die Vertreter für die Verhandlungen wählte. Bei hoher Relevanz wandert ein solches Anliegen immer höher bis zur Bundesebene und wird immer präziser. Schlussendlich saß dann Frank Bsirske mit in den Verhandlungen und stand für das, was wir Azubis am Klinikum in Essen forderten.


Die Verhandlungen waren aus ihrer Sicht sehr erfolgreich. Wie ist ihr Fazit?

Wir haben uns vier Jahre lang für die Vergütung eingesetzt. Das ist vergleichsweise kurz, wenn wir uns die deutsche Politik ansehen und besonders auf Verbände dieser Gesundheitsberufe schauen. Ich bin der Meinung, dass sich viel zu Wenige in einer Gewerkschaft organisieren und ihr Schicksal tatenlos hinnehmen. Wir haben gezeigt, wie viel wir mit ver.di erreichen können und ich hoffe sehr, dass dies bei anderen Azubis und Berufstätigen ausschlaggebend für mehr Engagement ist.


Der Tarifvertrag gilt für Beschäftigte in sehr wichtigen Berufen. Warum haben diese nicht schon früher protestiert?

Ich fürchte, dass die Auszubildenden und auch die Berufstätigen in dieser Branche oft zu wenig an sich selbst denken, sondern eher an die Patienten. Dabei gehen schlechte Arbeitsbedingungen letztlich auch zu deren Lasten. Wenn sich diese verbessern, bringt das natürlich auch eine bessere Versorgung der Patienten mit sich.


Welche Erkenntnisse haben Sie für sich und ihren Beruf aus dieser intensiven Zeit mitgenommen?

In Zeiten des Demographischen Wandels wird eine gute gesundheitliche Versorgung immer wichtiger. Durch die schlechten Arbeitsbedingungen besteht schon jetzt ein extremer Fachkräftemangel.  Dass einige Politiker, die so weit weg von der Basis sind, eine Unterversorgung der Patienten in den Verhandlungen abgestritten haben, hat mich fassungslos gemacht. Das ist kein Thema, bei dem auf Zeit gespielt werden darf!

Positiv ist natürlich, dass wir Erfolg hatten und unsere Ziele im Sinne vieler Auszubildender schließlich erreicht haben. Angesichts des zeitweiligen Schneckentempos habe ich in manch einer Verhandlungsrunde schon fast den Glauben verloren. Aber die Ausdauer hat sich gelohnt. Wir haben etwas bewegt!

 
Portrait HFH-Studentin Nina Rüter
Zur Person:

Nina Rüter hat ihre Ausbildung zur Physiotherapeutin am Universitätsklinikum Essen absolviert.  Heute arbeitet sie in einer Physiotherapiepraxis in Bottrop.

Parallel studiert sie an der Hamburger Fern-Hochschule – zunächst ausbildungs- und aktuell berufsbegleitend im Fernstudium.

Nina Rüter ist Studentin des dualen Studiengangs Health Care Studies, der zu Jahresbeginn in Therapie- und Pflegewissenschaften umbenannt wurde.

 

Informationen und Infomaterialien zum Bachelorstudiengang Therapie- und Pflegewissenschaften finden Sie hier:
Therapie- und Pflegewissenschaften