Forschungsprojekt DigiCare: Selbstmanagement per App soll Versorgung von Krebspatient:innen verbessern
Digitales Selbstmanagement für Krebspatient:innen vereinfachen – mit diesem Ziel ist 2023 das auf drei Jahre angelegte Verbund- und Förderprojekt „DigiCare“ gestartet. Es soll die Versorgungsstrukturen verbessern und die aktive Rolle der Patient:innen im Behandlungsprozess mit Hilfe einer App stärken. Im Januar 2024 wurde das Anforderungsprofil der App in Stakeholder-Workshops geschärft, nun steht die Testphase an.
DigiCare ist ein gemeinsames Projekt der HFH · Hamburger Fern-Hochschule, der Universität Duisburg-Essen, des Universitätsklinikums Essen (ÄöR) sowie des Softwareanbieters m.Doc. Es wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.
Für Krebspatient:innen ist es häufig schwierig, zwischen Klinikaufenthalten und Arztbesuchen passende Ansprechpersonen und Informationen zu finden, die sie beim Umgang mit den Krankheitsfolgen unterstützen. Viele leiden in diesen Zwischenphasen unter Symptomen, deren professionelle Beobachtung für ihre Versorgung und Lebensqualität wichtig ist.
„Wenn die Symptomkontrolle unzureichend ist und Unterstützungsangebote fehlen, kann dies nicht nur die Lebensqualität mindern, sondern zusätzliche Krankenhausaufenthalte und Kosten verursachen. Das kann Therapien verzögern und sogar zu deren Abbruch führen“, sagt Projektleiter Heinrich Recken, Ansprechpartner für Forschungsprojekte an der HFH.
DigiCare-App soll helfen, Versorgungslücken zu schließen
In der Praxis sei bislang die Vernetzung von beteiligten Ärzt:innen, Pflegekräften und Patient:innen innerhalb der Versorgungsstrukturen oft nicht ausreichend, so Recken. Das soll sich mit dem Projekt DigiCare ändern.
Es hat zum Ziel, durch die Entwicklung einer App die transsektorale, interprofessionelle Versorgungsstrukturen zu verbessern. Die App soll Patient:innen ein aktives und selbstbestimmtes Management unter fachkompetenter Anleitung durch hochschulisch qualifizierte Pflegekräfte (Advanced Practice Nurses – APN) ermöglichen und damit vorhandene Versorgungslücken schließen.
Mehrstufiges Forschungsprojekt läuft drei Jahre lang
Das Forschungsprojekt läuft über drei Jahre und soll zur Stärkung der aktiven Patienten:innenrolle im onkologischen Behandlungsprozess beitragen; die dafür geplante App soll in mehreren Stufen entwickelt werden.
In einem ersten Schritt ist nun das Anforderungsprofil der App geschärft worden. In Stakeholder-Workshops wurden im Januar 2024 grundlegende Anforderungen hinsichtlich bestimmter Krankheitssymptome sowie der inhaltlichen und technischen Umsetzung der App erarbeitet.
An den Workshops beteiligt waren Vertreter:innen der Deutschen Krebsgesellschaft, Ärzt:innen und Pflegekräfte zweier Universitätskliniken sowie Pflegewissenschaftler:innen und Patientenverteter:innen. Die Ergebnisse werden derzeit ausgewertet und fließen in die App-Entwicklung ein.
Demo-Version der App für März geplant, Testphase soll im Sommer starten.
In einem weiteren Workshop im März soll die Grundlage für die Entwicklung einer ersten Demo-Version der App gelegt werden. Dazu wollen die Forschenden die zuvor ermittelten Perspektiven der Stakeholder zusammenführen und um Erkenntnisse aus weiteren Patient:innenbefragungen anreichern.
„Wir rechnen damit, die App-Entwicklung in den kommenden Monaten abzuschließen und im Sommer in die erste Testphase einzusteigen. Dann wollen wir die Funktionen der App zusammen mit Patient:innen erproben und diese Ergebnisse nutzen, um das Projekt abzuschließen“, sagt Recken.
In dieser Phase solle die App weiteren Praxistests durchlaufen und gemeinsam mit allen Beteiligten sukzessive verbessert werden. „Gelingt dies wie geplant, wird die DigiCare-App den Patient:innen ab 2025 dauerhaft zur Verfügung stehen“, prognostiziert Recken.
Statements der Projektbeteiligten
Priv. Doz. Dr. med. Mitra Tewes (ärztliche Leitung der Palliativmedizin des Universitätsklinikums Essen AöR):
„Die Möglichkeiten der Versorgungsstrukturen wie die Advanced Practice Nurse und Palliativmedizin sind den Betroffenen meist nicht bekannt und werden daher selten in die Behandlungsprozesse eingebunden. DigiCare bietet den Betroffenen die Möglichkeit – angepasst an die Bedarfe – eigenständig mit diesen Fachdisziplinen in den Austausch zu kommen und von ihnen zu profitieren“.
Prof. Dr.-Ing. Michael Prilla (Interaktive Systeme, Universität Duisburg-Essen):
„Das Projekt DigiCare erhofft sich, eine optimale technische Unterstützung für onkologische Patient:innen im Umgang mit Ihren Symptomen zu schaffen. Um dieses Ziel zu realisieren, möchten wir die technische Lösung bestmöglich an die Bedürfnisse und Wünsche der Patient:innen anpassen und daher von Grund auf nicht nur für, sondern vor allem mit den Patient:innen gestalten.“
Maria Heming (wissenschaftliche Mitarbeiterin HFH-Studienzentrum Essen):
„Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung eröffnen sich bedeutende Innovationsmöglichkeiten entlang des gesamten gesundheitlichen Versorgungsablaufes. Wir haben uns mit dem Projekt DigiCare unter anderem zum Ziel gesetzt, ein transparentes Informationsangebot für onkologische Patient:innen zu errichten. Im Zentrum unserer Bemühungen stehen die Betroffenen, deren Versorgungssituation wir gezielt optimieren möchten.“
Bernadette Hosters (Pflegedirektion Universitätsklinikum Essen AöR; Leitung Stabsstelle Entwicklung und Forschung Pflege):
„Das Projekt DigiCare bietet die große Chance, eine innovative und neue Versorgungsstruktur zu erproben, die Patient:innen in den Mittelpunkt rückt. DigiCare kann hierbei als Blaupause für den Einsatz bei diversen Erkrankungen gesehen werden, um nach Abschluss des Projektes auf den gewonnenen Erkenntnissen und Entwicklungen aufbauen zu können.“
Fakten zum Forschungsprojekt DigiCare
Projektziele
In dem durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt (2023 – 2026) werden neben dem Primärziel „Etablierung einer neuen digitalen, sektorübergreifenden, interprofessionellen Versorgungsstruktur“ die weiteren Ziele adressiert:
- Stärkung der aktiven Patienten:innenrolle im onkologischen Behandlungsprozess und eine Verbesserung der Lebensqualität durch die Förderung des Selbstmanagements sowie einer personalisierten Wissensvermittlung
- Abbau von Versorgungslücken durch die Integration neuer pflegerischer Berufsbilder in den interprofessionellen, sektorübergreifenden Behandlungsprozess nach internationalem Vorbild
- bedarfsorientierte Integration der Palliativmedizin in die onkologischen Behandlungsprozesse
Projektphasen
Über drei Jahre soll in zwei Iterationsstufen eine digitale Lösung entwickelt werden. In der ersten Phase liegt der Fokus auf der Analyse der bestehenden Probleme. Hierfür werden sowohl Erkrankte als auch pflegerisches und ärztliches Personal einbezogen. Auf Basis dieser Ergebnisse wird ein individueller Behandlungspfad entwickelt, der den Patient:innen hilfreiche Informationen vermittelt und durch abgestimmte digitale Angebote die Symptomkontrolle ermöglicht.
Hintergrund
Zur Bedeutung interprofessioneller Versorgungsstrukturen und Selbstmanagement bei onkologischen Patient:innen:
Onkologische Patient:innen leiden im Verlauf ihrer Erkrankung unter multiplen Symptomen, deren unzureichende Kontrolle zu einer Verminderung der Lebensqualität, zusätzlichen Kosten, ungeplanten stationären Aufenthalten und sogar zu Therapieverzögerungen oder -abbrüchen führen kann.
Interprofessionelle, transsektorale Versorgungsstrukturen, wie die Integration von Advanced Practice Nurses und die Palliativmedizin, können zu einer besseren Symptomkontrolle und somit einer Verbesserung der Lebensqualität führen. Allerdings werden diese Versorgungsformen in Deutschland häufig gar nicht oder zu spät eingebunden. Neben geeigneten Strukturen ist für das Symptommanagement das Selbstmanagement von zentraler Bedeutung, um den Patient:innen eine aktive Rolle im Behandlungsprozess zu ermöglichen.
Da sich onkologische Patient:innen meist über Jahre in einer intersektoralen Versorgungsstruktur befinden, muss die Begleitung des Selbstmanagements über diese Sektoren erfolgen. Neben fehlenden Konzepten sind in Deutschland die dafür nötigen IT-Infrastrukturen nicht gegeben.
Herausforderungen
Bisher entwickelte digitale Lösungen sind nicht an die vorhandenen Strukturen der Akteure angebunden und bieten somit nur eingeschränkten Mehrwert. Ein Patientenportal mit einem individuell zugeschnittenen Behandlungspfad könnte das fehlende Scharnier im analog-digitalen Raum bilden, die Akteure über Sektorengrenzen hinweg zusammenführen und Patient:innen ein selbstbestimmtes Management unter fachkompetenter Anleitung ermöglichen.