Notfallpädagogik: „Erkenntnisse, die nur auf dem Papier stehen, nutzen im Ernstfall niemandem“
Ob am Badesee, im Straßenverkehr oder Zuhause – Unfälle geschehen plötzlich und ohne Vorwarnung. Kommt es zum Notfall, tickt sofort die Uhr. Denn gerade die ersten Minuten entscheiden oft darüber, wie sich ein akuter gesundheitlicher Notfall längerfristig auswirkt.
Wenn dann nicht zufällig ausgebildete Rettungskräfte in der Nähe sind, kommt es auf diejenigen an, die in diesem Moment am Ort des Geschehens sind – die Ersthelferinnen und Ersthelfer. Bei vielen liegen Erste-Hilfe-Kurse allerdings oft Jahre oder gar Jahrzehnte zurück. Doch ist es wichtig, dass man im Fall der Fälle einen kühlen Kopf behält und weiß, was zu tun ist.
Den richtigen Umgang mit Notfällen kann man z.B. in sogenannten Sanitätsschulen lernen. Eine solche betreibt der ausgebildete Lehr-Rettungsassistent und frischgebackene HFH-Absolvent Oliver Blake im niedersächsischen Bockenem.
Dort bietet er gemeinsam mit seinem Team Erste-Hilfe-Kurse für bestimmte Situationen und Zielgruppen an. Dazu zählen etwa Schulungen für Erzieher:innen und Lehrer:innen, Fortbildungen für Praxisanleitende in der Pflege oder auch allgemeinere Trainings, etwa für Outdoor- und Sportunfälle.
Einsatz von Rollenspielen bei Erste-Hilfe-Schulungen in Bildungs- und Betreuungseinrichtungen
Zum Thema Erste-Hilfe-Schulungen in Bildungs- und Betreuungseinrichtungen hat Blake seine Bachelorthesis im Studiengang Berufspädagogik für Gesundheits- und Sozialberufe an der HFH geschrieben.
In ihr arbeitet er heraus, wie man Lehrpersonal in Schulen und Kitas für Notfallsituationen ausbildet und inwiefern sich die Unterrichtsmethode des Rollenspiels als Simulation, welches das klassische Fallbeispiel um wesentliche Elemente der Kommunikation und des Team-Ressource-Management erweitert, eignet.
„Notfallsituationen in Schulen oder Kitas sind sehr komplex“
Bereits eine ‚normale‘ Unfallsituation ist für Ersthelfer:innen enorm herausfordernd. „Wenn aber ein Unfall in einer Schulklasse oder Kita passiert, wird es noch komplexer“, sagt Oliver Blake. „Die Situation ist dann nicht nur für die unmittelbar Betroffenen gefährlich, sondern belastet auch die anderen Anwesenden psychisch sehr stark“.
Für Erzieher:innen gelte es dann nicht nur, das unmittelbar betroffene Kind richtig zu versorgen, sondern sich auch um die anderen Kinder und Jugendlichen zu kümmern. Nicht zuletzt, um Traumatisierungen zu vermeiden, denn diese entstünden häufig dann, wenn sich Anwesende machtlos fühlen und nicht handlungsfähig sind.
„Wenn ich als Lehrer Erste Hilfe leiste, muss ich die Umstehenden möglichst miteinbeziehen“. Anstatt die Kinder wegzuschicken sei es ratsamer, Aufgaben zuzuweisen: „Ich kann zum Beispiel einen Teil der Klasse beauftragen, den Rettungskräften den Weg zum Unfallort zu zeigen“, nennt Blake ein konkretes Beispiel, um die anderen aktiv einzubinden.
„Erste-Hilfe-Schulungen möglichst ganzheitlich betrachten“
Erste-Hilfe-Schulungen in Bildungseinrichtungen umfassen also mehr als die Ausbildung in der direkten Versorgung der Betroffenen. Es geht vor allem auch darum, organisiert zu bleiben und den Überblick nicht zu verlieren.
„Als Vorbereitung für komplexe Situationen in Gruppen mit Kindern vermitteln wir dem pädagogischen Personal deshalb weitergehende Kompetenzen – etwa Fähigkeiten im Ressourcenmanagement und in der Kommunikation, basierend auf aktuellen Erkenntnissen der Notfallpsychologie und Notfallpädagogik.“
Von dieser Vielschichtigkeit der Aufgaben sei auch die Ausrichtung seiner Bachelorarbeit beeinflusst: „Zum einen war mir wichtig, Erste-Hilfe-Schulungen in meiner Abschlussarbeit möglichst ganzheitlich zu betrachten“, sagt Blake, der dafür etwa verschiedene pädagogische und psychologische Erkenntnisse in das Thema einfließen ließ.
„Zum anderen ist es ganz bewusst eine sehr handlungsorientierte Arbeit, die in der Ausbildungspraxis genutzt werden soll.“ Denn gerade in der Notfallpädagogik sei das Prinzip des ‚put it into work‘ essenziell: „Erkenntnisse, die nur auf dem Papier stehen, nutzen im Ernstfall niemandem – sie haben erst dann einen Wert, wenn sie auch in die Wirklichkeit übertragen werden“, betont der 50-Jährige.
Notfalltraining heißt, durch Simulieren, Üben und Wiederholen eine Bewältigungsstrategie zu entwickeln
Ein zentraler Ansatz der Notfallpädagogik sei es, durch kontinuierliches Üben und Wiederholen die Handlungsabläufe zu verinnerlichen. Diese Form des ‚Drills‘ sorge dafür, dass man im Notfall nicht vor Schreck versteinert, sondern handlungsfähig bleibe. „Es befähigt die Helfenden, quasi automatisch zu agieren und zugleich den Kopf frei zu haben, um auch das Geschehen um den eigentlichen Unfall herum im Blick zu behalten.“
Neben dem Entwickeln von Automatismen sei zudem das Erleben einer erfolgreichen Bewältigungsstrategie aus psychologischer Sicht ganz wichtig für die Teilnehmenden. „Wenn ich selbst erlebe, dass meine Strategie erfolgreich ist, speichert sich das ab und gibt mir die Gewissheit, dass ich eine Notfallsituation erfolgreich bewältigen kann“, erklärt Blake.
Oliver Blakes Abschlussarbeit soll als Grundlage für Erste-Hilfe-Ausbildungen in Kitas und Schulen dienen
Durch die Kombination von umfangreichem Praxiswissen und seinem Ansatz, eine ganzheitliche und vor allem handlungsorientierte wissenschaftliche Arbeit zu schreiben, hat die Bachelorthesis von Oliver Blake bereits Aufmerksamkeit für konkrete Einsatzfelder geweckt:
Sie befindet sich momentan im Prüfungsverfahren der Qualitätssicherungsstelle Erste Hilfe (QSEH) der gesetzlichen Unfallversicherungsträger. Im Fall der Zulassung soll sie anschließend als eine wissenschaftliche Grundlage dienen für praktische Erste-Hilfe-Ausbildungen in über 500 Kitas und Schulen.
Bei näherem Interesse an den Ergebnissen steht Oliver Blake per E-Mail zur Verfügung. Über seine Erfahrungen mit dem Fernstudium an der HFH berichtet der Absolvent des Bachelors Berufspädagogik außerdem in den HFH-Erfahrungsberichten.